Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs (German Edition) by Schilling Heinz

Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs (German Edition) by Schilling Heinz

Autor:Schilling, Heinz [Schilling, Heinz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406637421
Herausgeber: C. H. Beck
veröffentlicht: 2012-10-11T22:00:00+00:00


In der Zentralkanzlei des Protestantismus

War Wittenberg die protestantische Kathedralstadt Luthers, so war sein Arbeitszimmer die Zentralkanzlei des deutschen und europäischen Protestantismus. Im ersten Stock des südlichen Anbaus, nahe bei den Wohnräumen der Familie und bescheiden in der Ausstattung,[646] diente dieser Raum dem Reformator für zwei Jahrzehnte als Ort geistiger Konzentration. Hier wurden die neuen theologischen Lehrsätze formuliert, hier liefen die Fäden eines europaweiten Kommunikationsnetzes zusammen und hier wurde wegweisender Rat erteilt, in privaten Fragen und Nöten wie in Angelegenheiten der «großen Politik». Das war nicht mehr die Stätte seelischer Qualen und theologischen Suchens; sondern der Ort, wo die Grundlagen für die Umsetzung der reformatorischen Erkenntnis in eine neue, evangelische Ordnung von Kirche, Politik und Gesellschaft erarbeitet wurden.

Anders als dem befreundeten Malerunternehmer Cranach in seiner benachbarten Großwerkstatt stand dem Reformator kein Heer von Gesellen zur Verfügung. Seine Abhandlungen, Predigten, Gutachten und Briefe – gelegentlich um die 40 am Tag![647] – musste er selbst abfassen. Lediglich ein Famulus oder Sekretär ging ihm zur Hand, mancher eher schlecht als recht, wie Wolfgang Seberger, sein erster Famulus, über dessen Umständlichkeit und Schläfrigkeit Luther gerne spottete, andere ordnend, mitdenkend oder gar theologisch anregend wie Georg Rörer oder Veit Dietrich.

Georg Rörer, nur neun Jahre jünger, stand dem Reformator auch persönlich nahe. Nach dem Tod seiner ersten Frau, einer Schwester Bugenhagens, lebte er mit seinem eben geborenen Sohn Paul bis zur Wiederverheiratung im Lutherhaus. Da er eine Kurzschrift beherrschte, konnte er wortgetreue Mitschriften von Vorlesungen und Predigten des Reformators anfertigen, die er teilweise selbständig in den Druck gab. Später betreute und redigierte er die Wittenberger Gesamtausgabe von Luthers Schriften. 1529 beim Marburger Religionsgespräch fungierte er als Luthers Sekretär, ein Amt, das er im Auftrag des Kurfürsten und von diesem besoldet erneut 1537 übernahm, dieses Mal um Luther bei der Bibelrevision zu unterstützen und das Protokoll der Kommissionssitzungen zu führen. Nach Luthers Tod und der ernestinischen Katastrophe im Schmalkaldischen Krieg widmete er sich in Jena dem schriftlichen Erbe des Reformators und brachte noch vier Bände der Jenaer Luther-Ausgabe heraus.

Veit Dietrich, der von 1528 bis 1534, als er sich mit Käthe über das Kostgeld der Studenten überwarf, die Famulatur bekleidete, musste wiederholt Beistand bei den Unpässlichkeiten und Krankheiten des alternden Reformators leisten. Er schrieb Briefe nach Diktat, protokollierte die wichtigen Gespräche und führte eine ordentliche Ablage und Archivierung von Briefen und Konzepten ein. Aus seinen Mitschriften von Luthers Predigten zu verschiedenen Anlässen im Familien- und Freundeskreis entstand die Hauspostille, die er 1544 im Druck vorlegte.[648] Der letzte Famulus Johannes Aurifaber kam 1545 ins Haus, begleitete Luther auf seiner letzten Reise und machte sich einen Namen als Zeuge seines Sterbens sowie als Sammler und Editor seiner posthumen Schriften.[649]

Wie es in Luthers Arbeitszimmer aussah, davon berichtet er selbst gegen Ende der 1520er Jahre seinem ehemaligen Klostergenossen Wenzel Linck nach Nürnberg: «Ich werde täglich so mit Briefen überschüttet, dass Tisch, Bänke, Schemel, Pulte, Fenster, Kästen, Borde und alles voller Briefe liegen mit Fragen, Händeln, Klagen, Bitten usw. Auf mich stürzt die ganze Last des Kirchen- und Gemeinwesens ein, so schlecht verstehen die geistlichen und weltlichen Amtsträger ihr Amt.



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